„Erst Märkte machen die Entwicklung von Quantenlösungen interessant.“

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17.09.2021

Dr. Andre Luckow, Leiter der Abteilung Neue Technologien bei der BMW Group IT, über Quantencomputing für die Industrie

Für eine Industrialisierung des Quantencomputings braucht es nicht nur eine Basistechnologie, sondern auch einen Markt, sagt Dr. Andre Luckow, Leiter der Abteilung Neue Technologien bei der BMW Group IT. Im Interview erklärt er, wie QUTAC die Entwicklung industrieller Anwendungen stärken will und wie die BMW Group sich im Konsortium und darüber hinaus im Bereich Quantencomputing engagiert.

Dr. Andre Luckow, Leiter der Abteilung Neue Technologien bei der BMW Group IT. © Leon Raule

 

Herr Dr. Luckow, das Europäische Quantum Technologies Flagship zählt mehr als 20 Projekte. Zugleich existiert mit dem angeschlossenen Quantum Industry Consortium (QuIC) bereits ein Industriekonsortium. Wozu braucht es da noch QUTAC? 

Diese Vielfalt zeigt doch gerade das enorme Potenzial der Technologie – und die Notwendigkeit, tragfähige Partnerschaften zu etablieren. QUTAC möchte die Position der deutschen Wirtschaft im Quantencomputing stärken. Natürlich sehen aber auch wir den Bedarf, auf europäischer Ebene zu kooperieren. QuIC hat einen breiten Fokus und bringt das ganze Spektrum der Quantenindustrie zusammen, also Großunternehmen, Mittelständler, Start-ups und Forschungseinrichtungen. QUTAC konzentriert sich auf Deutschland und auf industrielle Anwendungen. Wir werden also die Arbeit von QuIC und anderen Initiativen sinnvoll ergänzen. 

 

Warum ist eine Fokussierung auf konkrete industrielle Anwendungen gerade in Europa so wichtig? 

Wir müssen das Thema Quantencomputing holistisch betrachten. Für eine Industrialisierung braucht es nicht nur eine Basistechnologie, sondern auch einen Markt. Hierfür sind Anwendungen nötig, die Unternehmen konkrete Vorteile bieten. Erst Märkte machen die Entwicklung von Quantenlösungen interessant. Deutschland und Europa haben nicht nur Spitzenforschung, sondern auch starke Industrien, die vielversprechende Anwendungsfelder für Quantencomputing bieten, wie Maschinenbau, Produktion und Logistik, Materialforschung und Risikomanagement. Es geht darum, beides zu kombinieren und ein Ökosystem zu schaffen, das deutsche und europäische Stärken nutzt. 

 

Wie läuft die Zusammenarbeit innerhalb von QUTAC konkret ab? 

Aktuell arbeiten die QUTAC-Mitglieder in Arbeitsgruppen zu Materialforschung, Produktion und Logistik, sowie Engineering und Design an der Entwicklung verschiedener Anwendungen. Die BMW Group leitet die Arbeitsgruppe Produktion und Logistik. 

 

Welche Anwendungsfälle bringt die BMW Group hier mit ein? 

Das sind zwei konkrete Anwendungsfälle. Erstens widmen wir uns der Roboterprogrammplannung. Bei uns sind täglich tausende Industrieroboter in Produktion und Logistik im Einsatz. Die Planung von Roboterabläufen ist komplex und ideal für computergestützte Optimierung und Designtechniken. Zweitens arbeiten wir an der Optimierung der Fahrzeugausstattung für die Testfahrzeugskonfiguration. Mithilfe von Quantencomputing wollen wir die Anzahl notwendiger Testfahrzeuge minieren und gleichzeitig eine hundertprozentige Testabdeckung sicherstellen. 

 

Neben der Entwicklung von Anwendungen soll QUTAC auch Förderprozesse beratend begleiten. Wie stellt sich die Fördersituation in Deutschland aus Sicht des Konsortiums heute dar? 

Deutschland hat seine Förderung für Quantencomputing deutlich ausgebaut. Bund und Länder unterstützen die Grundlagenforschung und Entwicklung von Hard- und Software, in mehreren Hubs sollen etwa unterschiedliche Qubit-Technologien entwickelt  werden. Das Volumen dieser Förderung ist bemerkenswert und darf uns alle zu Recht stolz machen. Gleichzeitig nehmen wir wahr, dass der Fokus derzeit auf der Entwicklung von Hardware liegt, während Software und Anwendungen als nachrangig betrachtet werden. Dabei bieten gerade sie das größte wirtschaftliche Potenzial. 

 

Wie plant QUTAC konkret, sich in Förderprozesse einzubringen? 

QUTAC wird selbst keine Fördermittel beziehen. Doch wir möchten als beratende Instanz dazu beitragen, dass Fördergelder dort ankommen, wo sie den größten kommerziellen Mehrwert versprechen – und damit den langfristig größten Beitrag für unsere Gesellschaft. 

 

Ein Ziel von QUTAC ist auch die Förderung eines Quantencomputing-Ökosystems in Deutschland und Europa. Warum ist die Entstehung eines solchen Netzwerks kein Selbstläufer? 

Ökosysteme zu schaffen ist generell eine große Herausforderung und erfordert Ausdauer. Es gilt, unterschiedliche Beteiligte aus Industrie, Wissenschaft und Politik zusammenzubringen. Deshalb ist ein doppelter Ansatz zielführend. Einerseits eine Top-Down-Förderung, um Großprojekte aufzubauen, wie aktuell auch Bund und Länder es tun. Andererseits müssen wir es schaffen, innovative und kreative Köpfe dafür zu begeistern, dieses Ökosystem mit ihren Ideen zu bereichern.  

 

Welche Faktoren werden sich für die Industrialisierung des Quantencomputing zukünftig als erfolgskritisch erweisen? 

Mit der zunehmenden Reife der Technologie und der Realisierung wirtschaftlicher Anwendungen wird der Bedarf nach Fachkräften weiter steigen. Wir müssen also schon heute an die Aus- und Weiterbildung unser Mitarbeiter denken. Dabei halten wir insbesondere interdiszplinäre Fähigkeiten an den Schnittstellen von Physik, Elektrotechnik und Informatik für erfolgskritisch. 

 

Wie engagiert sich die BMW Group außerhalb von QUTAC im Bereich Quantencomputing? 

Hier haben wir unterschiedliche Initiativen ins Leben gerufen. Mit unserer Quantum Computing Challenge laden wir derzeit die globale Quantencomputing Community ein, Lösungsansätze für konkrete Herausforderungen einzureichen, die repräsentativ für die Automobilindustrie sind und von der Sensorpositionierung für automatisierte Fahrzeuge bis zur Testfahrzeugkonfiguration reichen. Die Gewinner bekommen die Gelegenheit, mit uns gemeinsam weiter an diesen Projekten zu arbeiten und sie womöglich zum Erfolg zu führen. 

 

Welche Funktion soll der neue Lehrstuhl für Quantenalgorithmen und -anwendungen an der Technischen Universität München (TUM) erfüllen, den die BMW Group an der Technischen Universität München (TUM) gestiftet hat? 

Durch unsere Stiftung möchten wir vor allem eine Brücke zwischen Grundlagenforschung und industrieller Anwendung schlagen. Der Lehrstuhl soll anwendungsorientiert an konkreten Problem- und Fragestellungen im Bereich Quantencomputing forschen und einen stetigen Wissens- und Erkenntnistransfer etablieren. Die Stiftung ist unabhängig von QUTAC erfolgt, folgt aber dem gleichen Leitgedanken. Durch die Stärkung der Forschung und des Transfers profitiert letztlich das gesamte Ökosystem und damit natürlich auch QUTAC.