„Innovationen erzielen Impact über ihre Anwendbarkeit, nicht ihr technologisches Potenzial.“

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27.06.2022

Dr.-Ing. Susan Wegner, Vice President Artificial Intelligence & Data Analytics bei Lufthansa Industry Solutions, über die Entwicklung industrieller Use Cases des Quantencomputing

Quantencomputing steckt noch in den Kinderschuhen. Trotzdem sei es wichtig, schon jetzt nicht nur in die Entwicklung der Hardware zu investieren, erklärt Dr.-Ing. Susan Wegner, Vice President Artificial Intelligence & Data Analytics bei Lufthansa Industry Solutions. Im Interview erklärt sie, warum ihr Unternehmen QUTAC beigetreten ist, wie es sich in das Konsortium einbringt und was sie unter dem Schlagwort Digitale Souveränität versteht.

 

Dr.-Ing. Susan Wegner, Vice President Artificial Intelligence & Data Analytics bei Lufthansa Industry Solutions

Dr.-Ing. Susan Wegner, Vice President Artificial Intelligence & Data Analytics bei Lufthansa Industry Solutions. ©Philipp Stelzner

 

Frau Dr. Wegner, im Februar dieses Jahres sind Sie mit Ihrem Unternehmen Lufthansa Industry Solutions QUTAC beigetreten. Welche Gründe haben Sie zu dieser Entscheidung motiviert?

Der Hauptgrund war, dass wir die Einschätzung der Gründungsmitglieder teilen: Kein Unternehmen in Deutschland und Europa kann die Herausforderung Quantencomputing allein bewältigen. Wir haben bei Lufthansa Industry Solutions das Privileg, mit hochqualifizierten Mitarbeitern zu arbeiten, die mit viel Engagement Pionierarbeit betreiben. Trotzdem geht die Komplexität des Themas über das hinaus, was wir allein leisten könnten. Dafür braucht es den frühen Austausch mit anderen, um gemeinsam voranzukommen. Deshalb wussten wir: Wir müssen dabei sein.

Der Fokus von QUTAC liegt auf der Entwicklung von Anwendungen. Welchen Use Case bringt Ihr Unternehmen in das Konsortium ein?

Unsere Anwendungsfälle sind sehr eng mit unserem Kerngeschäft, der Luftfahrt, verknüpft. Dabei geht es in der Regel um Optimierungsprobleme aus den Bereichen Mobilität und Logistik. So arbeiten wir in einem Use Case gemeinsam mit den Partnern von QUTAC daran, Frachtrouten zu optimieren. Die Frage, über welche Route ein Paket idealerweise geschickt wird, damit es möglichst schnell am Zielort ankommt, ist in unserer heutigen Mobilitätswelt hochkomplex und zwingt uns, eine Auswahl aus Hunderten möglicher Routen und Flugzeugtypen zu treffen.

Welchen Ansatz verfolgen Sie hierbei?

Bei dieser Problemstellung bietet sich ein Machine-Learning-Ansatz an, also der Einsatz einer Künstlichen Intelligenz, die mithilfe der ihr zur Verfügung gestellten Daten das Optimierungsproblem mathematisch löst. Das gelingt umso besser, je mehr relevante Daten zur Verfügung stehen, mit der die KI „gefüttert“ werden kann. Bei Lufthansa Industry Solutions konnten wir hierbei mit klassischen Computern bereits gute Ergebnisse erzielen – allerdings mit starken Einschränkungen. Die Datenmenge, die uns tatsächlich zur Verfügung steht und die wir gerne nutzen würden, übersteigt bei Weitem das, was konventionelle Systeme aktuell verarbeiten können. Diese Begrenzung hoffen wir, mit Quantencomputern bald aufheben zu können.

Wie arbeiten die Mitglieder des Konsortiums in den Arbeitsgruppen konkret zusammen?

Ein Teil unserer Arbeit besteht derzeit darin, die Fachkenntnisse zu erfassen, die jedes Mitglied in das Konsortium einbringt. So stellen wir sicher, dass sich für alle Anwendungsfälle die besten Köpfe finden, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Dazu gehört auch ein verlässliches Benchmarking. Wir evaluieren, wo der Einsatz von Quantencomputing Fortschritte verspricht, und zwar nicht nur theoretisch, sondern ganz handfest mit der Hardware, die bereits existiert oder in naher Zukunft existieren wird. Daneben wird die Zusammenarbeit auch schon deutlich konkreter: Mitarbeiter teilen von ihnen entwickelten Code und entwickeln ihn gemeinsam mit Kollegen aus anderen Unternehmen weiter.

Noch sind die meisten Quantencomputer Prototypen. Warum konzentriert sich QUTAC in dieser frühen Phase auf die Entwicklung von Anwendungsfällen? Wäre es nicht wichtiger, zunächst die Hardware auszureifen?

Nein. Die Entwicklung der Hardware ist wichtig, aber Innovationen erzielen Impact über ihre Anwendbarkeit, nicht ihr technologisches Potenzial. Zudem kommt im Quantencomputing hinzu, dass die weitere Ausreifung der Hardware wesentlich davon abhängen wird, welche Anwendungen sich als vielversprechend herausstellen und welche Anforderungen die Technologie erfüllen muss, um diese zu realisieren. Wesentlich ist aber, dass wir in Sachen Quantencomputing lernen müssen, in anderen Zeithorizonten zu denken.

Was meinen Sie damit?

Hier entstehen gerade eine völlig neue Technologie und das sie umgebende Ökosystem. Dieser Prozess braucht Zeit und frühes Engagement auf allen Ebenen. Wir müssen uns ein Stück weit von unserem bisherigen sequenziellen Denken verabschieden. Erst die Hardware, dann die Software – das funktioniert nicht mehr. Wir müssen uns heute darüber klarwerden, in welche Richtung wir uns in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren entwickeln möchten, und entsprechende Weichen stellen. Dazu gehören Hard- und Software, aber auch die Ausbildung der Menschen, die beides einmal bedienen sollen.

QUTAC will ein wirtschaftlich erfolgreiches, eigenständiges Quantencomputer-Ökosystem in Deutschland und Europa mitgestalten. Im Kern geht es dem Konsortium um Digitale Souveränität. Was bedeutet dieses Schlagwort für Sie?

Unabhängigkeit. Und hier spielt das Thema Hardware dann doch wieder eine große Rolle: Deutschland und Europa werden eigene, leistungsstarke Quantencomputer brauchen, genauso wie Unternehmen, die sie mithilfe entsprechender Software ganz selbstverständlich nutzen. Andernfalls machen wir uns auf die ein oder andere Weise von anderen Ländern abhängig. Gerade die aktuelle politische Lage zeigt, dass dies nicht in unserem Sinne sein kann.

Deutschland und Europa sollen also selbst eine Vorreiterrolle einnehmen?

Das ist das Ideal, ja. Das bedeutet jedoch nicht, dass deutsche Unternehmen sich an deutsche oder europäische Anbieter binden sollen. Auch das hieße ja, sich Optionen zu verbauen. Es muss darum gehen, Alternativen zu schaffen und mit ihnen einen Markt aufzubauen, damit Unternehmen die Wahl haben, welche Ressourcen sie nutzen möchten. Doch das alles ist nur ein Teil des Ganzen. Zu einem funktionierenden Ökosystem gehören auch Universitäten, die die Fachkräfte von morgen ausbilden. Und das, was gerade bei QUTAC passiert: Partnerschaftlich und über Branchengrenzen hinweg zusammenarbeiten und Ressourcen bündeln.

QUTAC möchte auch die Perspektive der Industrie in den politischen Diskurs einbringen, um zum wirtschaftlichen Erfolg von Quantencomputern beizutragen. Welche Unterstützung erwarten Sie sich von der Politik?

Die Forschungsförderung durch Bund und Länder ist bereits heute sehr umfangreich und ein wichtiges Signal. Entscheidend wäre allerdings, in dieser Phase vermehrt auch Unternehmen zu unterstützen, die an der Entwicklung von Anwendungen arbeiten. Die individuellen Investitionen, die Firmen hier tätigen, sind sehr hoch und die Entwicklungszeiträume lang. Sie müssen also einen langen Atem beweisen, bevor sich ihre Pionierarbeit rechnet. Hier sollte die Politik durch gezielte Förderung dazu beitragen, dass zukunftsweisende Forschung und Entwicklung im Bereich Quantencomputing für Unternehmen finanziell attraktiv bleibt.

Wie engagiert Ihr Unternehmen sich außerhalb von QUTAC im Bereich Quantencomputing?

Wir sind unter anderem Gründungsmitglied des Artificial Intelligence Centers Hamburg, ARIC. Das Center hat sich ursprünglich der Förderung und nachhaltigen Nutzung von KI in der Metropolregion Hamburg gewidmet, wird sich mit der Initiative „Quantum Innovation Capital“ (QUIC) aber auch dem Thema Quantencomputing annehmen. Hier werden wir uns durch unsere Teilnahme an verschiedenen Formaten, wie Vorträgen oder Brownbag-Sitzungen, einbringen.

Frau Dr. Wegner, wir danken Ihnen für das Gespräch.