BASF: Wie Quantencomputer helfen können, chemische Katalysatoren zu entwickeln

Quantensprünge

14.01.2022

Mithilfe des Quantencomputing möchte BASF die Entwicklung neuer Katalysatoren für die Polymerforschung beschleunigen. Dafür setzt sie auf einen hybriden Ansatz – und die Kollaboration mit QUTAC.

Hochleistungskatalysatoren für die Chemie: Die BASF produziert eine Vielzahl von Katalysatoren. Katalysatoren kommen bei den meisten chemischen Prozessen zum Einsatz. Innovationen in der chemischen Industrie werden hauptsächlich durch Katalysatoren-Forschung und -Entwicklung vorangetrieben. BASF setzt Katalysatoren in mehr als 80 % der eigenen Produktionsstätten ein. © BASF SE.

Polymere: Komplexe chemische Gebilde

Ob Autositze, Schuhsohlen oder Dämmmaterial – in jedem dieser Gegenstände kommen Polymere zum Einsatz. „Heutzutage kommt praktisch jeder Mensch tagtäglich mit industriell gefertigten Polymeren in Kontakt, und hat Gegenstände in seinem Haushalt, die sie enthalten“, erklärt Dr. Horst Weiss, Leiter des Bereichs Knowledge Innovation bei BASF. Er muss es wissen: Gemeinsam mit seinem Team arbeitet er daran, die Entwicklung der beliebten Materialien mithilfe des Quantencomputing zu vereinfachen.

Doch von Anfang: was sind Polymere? Wie werden sie hergestellt? Und: Wenn sie in der Industrie bereits etabliert sind – welchen Beitrag kann Quantencomputing in diesem Bereich überhaupt noch leisten? Horst Weiss glaubt: Einiges.

„Polymere sind chemische Stoffe, die aus sehr großen Molekülen, bestehen“, erläutert Dr. Peter Deglmann, der bei BASF ein Team für Quantenchemie leitet: „Sie sind aus einer oder mehreren verschiedenen sogenannten Wiederholungseinheiten aufgebaut.“ In chemischer Hinsicht sind Polymere also komplexe Gebilde.

Zu ihrer Herstellung müssen unterschiedliche Substanzen chemisch miteinander reagieren. So gehören zu den wesentlichen Zutaten in Polyurethanrezepturen etwa Polyole, Isocyanate, Wasser – und Katalysatoren. Letztere sind „Beschleuniger“ chemischer Reaktionen. Für Deglmann sind sie ihr entscheidendes Element: „Ohne ihre Zugabe würden die übrigen Stoffe nur sehr langsam miteinander reagieren, was in der Regel zu unbrauchbaren Produkteigenschaften führt.“

In der Chemieindustrie ist die Entwicklung neuer Katalysatoren ein wichtiges Feld. „Es besteht enormer Bedarf nach besseren Katalysatoren, die spezielle Reaktionen noch stärker beschleunigen, oder kostengünstiger sind“, so Deglmann: „Außerdem helfen uns die richtigen Katalysatoren, Reaktionen bei geringeren Temperaturen und unter geringerem Druck durchzuführen. Das spart eine Menge Energie. Gerade aus Fragen der Nachhaltigkeit ist das Thema also sehr relevant. “Um die Größenordnungen, um die es gehe, zu erahnen, reiche schon ein einziges Beispiel, erklärt er: „Heute fließen etwa ein bis zwei Prozent des jährlichen weltweiten Energiebedarfs allein in die Umsetzung des Haber-Bosch-Verfahrens, welches Ammoniak als Ausgangsprodukt für die industrielle Düngemittelproduktion liefert. Bis heute sichert das Haber-Bosch-Verfahren, das maßgeblich von der BASF mitentwickelt wurde, die Ernährung von Milliarden Menschen. Die Einsparungen, die sich aus der Entwicklung besserer Katalysatoren in diesem einen Bereich ergeben würden, wären also bereits von globaler Bedeutung.“

Computing in der Quantenchemie: Präzision vs. Effizienz

Das Team bei BASF sucht deshalb nach Wegen, mithilfe des Quantencomputing neue Katalysatoren zielgerichteter und schneller zu entwickeln. Denn Mittels quantenchemischer Berechnungen lässt sich aufzeigen, in welchem Maße ein Katalysator die sogenannte Aktivierungsenergie einer Reaktion voraussichtlich herabsetzen wird – und damit, wie geeignet er für die Nutzung in spezifischen Reaktionen ist. Vor allem langwierige Versuchsreihen können so deutlich verkürzt werden.

An derartigen Berechnungen versuchen sich Quantenchemiker bereits heute. Das Problem: Herkömmliche Computer stoßen dabei an ihre Grenzen. Die Genauigkeit, die die Wissenschaftler bei BASF anstreben, gelingt ihnen oft nur für sehr einfache Moleküle. Wollen sie das Verhalten größerer Systeme berechnen, verlieren ihre Berechnungen an Präzision – oder die benötigte Rechenzeit steigt ins Unermessliche. „Derzeit müssen wir also bei jedem Anlauf entscheiden“, so Weiss: „Wollen wir Genauigkeit oder Effizienz?“ Mithilfe leistungsfähiger Quantencomputer ließe sich die benötigte Rechendauer deutlich reduzieren, ohne Kompromisse in Sachen Präzision oder Molekülgröße eingehen zu müssen.

Hybrides Computing: Klassische und Quantencomputer arbeiten zusammen

Weiss legt Wert darauf, dem gelegentlich überbordenden Hype um Quantencomputing einen realistischen Zeithorizont gegenüber zu stellen. Bis die Technik so weit sei, werde es dauern: „Bisher verfügen Quantencomputer nur über recht begrenzte Fähigkeiten.“ Sein Team und er setzen deshalb zunächst auf die Entwicklung eines hybriden Ansatzes.

Die Grundidee ist einfach: „Der Quantencomputer löst die kompliziertesten und rechenintensivsten Teilaufgaben. Alles andere übernimmt ein klassischer Computer.“ Wie genau funktioniert diese Arbeitsteilung, wenn es um die Simulation chemischer Reaktionen geht? „In der Regel beginnt man auf dem klassischen Computer“, so Dr. Michael Kühn, Quantenchemiker bei BASF: „Dieser führt eine erste, grobe Schätzung der Energie des Moleküls durch.“ Diese ist für praktische Zwecke in der Regel nicht ausreichend, für einen Quantencomputer aber eine gute Arbeitsgrundlage. Aufbauend auf dieser Näherungslösung ermittelt er ein genaueres Ergebnis und spielt es an den klassischen Computer zurück. Dieser analysiert es und übergibt dem Quantencomputer neue Instruktionen, und so fort. Nach mehreren Durchläufen erhält man so das genaueste Ergebnis, das mit diesem Ansatz möglich ist.

Wissenschaftliche Forschung mit unternehmerischem Anspruch

Für Kühn ist die Frage, wie viele Qubits mindestens erforderlich sein werden und von welcher Qualität diese sein müssen, um nützliche Ergebnisse für praktische chemische Anwendungen zu erhalten. „Nützlich“ bedeutet für ihn: Mindestens genauso gut, wie es derzeit mithilfe klassischer Computer möglich ist. Nach Schätzungen von BASF dürften zur Simulation kleiner Moleküle wie Wasser bereits Quantencomputer mit etwa 100 qualitativ hochwertigen, d.h. äußerst fehlerarmen, Qubits nötig sein. Mit der Größe der Moleküle steige auch die Anforderung an den Quantencomputer. „Vergleicht man diese grob geschätzten Anforderungen mit dem, was mit Quantencomputer-Hardware derzeit möglich ist, dann klafft zwischen beiden noch eine deutliche Lücke, insbesondere was die Qualität der Qubits betrifft“, erklärt Kühn.

Trotzdem gibt er sich zuversichtlich: „Es gibt Raum für Verbesserungen, die die Hürde drastisch verkleinern und zu einem echten Quantenvorteil führen könnten.“ Dazu gehören für ihn immer effizienter werdende Algorithmen. Auch die Entwicklung der Hardware schreite schnell voran, die Pläne der Hersteller seien ehrgeizig. Und auch BASF arbeitet mit Hochdruck daran, die neue Technologie durch die Konzeption konkreter Anwendungsfälle weiter voranzubringen.

Darum misst Horst Weiss der Kooperation innerhalb von QUTAC eine besondere Bedeutung bei: „Unser Fokus liegt auf der Anwendungsebene und auf ähnlichen Problemstellungen. Wir bekommen aus dem Konsortium viele wichtige Impulse und können unsererseits unterstützen. Das ist für unsere Arbeit unerlässlich. Ziel von QUTAC ist es, Quantencomputing auf die Ebene der großflächigen industriellen Anwendung zu heben. So bereiten wir unsere Unternehmen auf eine neue digitale Zukunft vor und stärken gemeinsam Deutschlands digitale Souveränität. Dafür möchten wir Förderbedarfe aufzeigen und Anwendungen zur Marktreife bringen.”

Als Gründungsmitglied von QUTAC engagiert sich BASF deshalb intensiv in den Arbeitsgruppen „Material Science“ und „Production and Logistics“. Zusätzlich ist Dr. Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender der BASF, Mitglied des Executive Committees von QUTAC. Dieses ist für die grundsätzlichen und strategischen Entscheidungen des Konsortiums verantwortlich, und hat zum Ziel, die Anliegen von Industrie, Wissenschaft und Politik zusammenzuführen. Bei QUTAC kommen für Weiss so die besten Seiten von Forschung und Wirtschaft zusammen: „Unsere Mentalität ist wissenschaftlich-kollaborativ. Unser Anspruch unternehmerisch.“